26. Dez. 2024

Schon wieder passiert?!: Widerstand und Rebellion (Teil 7)

Begriffe wie Veränderung, Change oder Transformation klingen aufregend und nach Neuem. Und doch stößt man gerne auf die sich immer gleich anfühlenden hitzigen Diskussionen, Widerstände und Konflikte. Man kann daran verzweifeln, wenn man als Einzelperson, Team oder Organisation immer wieder in ähnliche Situationen gerät, obwohl man es eigentlich besser wissen müsste. Vielleicht ist dabei ein systemisches Muster am Werk, das es aufzudecken gilt, um seine Wirkweise zu verstehen und um Ausbruchsmöglichkeiten aus dem Teufelskreis zu entdecken.
2024 Marc Riedinger

Autor:in

Marc Riedinger

2024 Schon Wieder passiert Teil 7

Was sind systemische Muster?

Systemische Muster (oder auch Systems Archetypes) gehen auf den Organisationsentwickler und MIT-Professor Peter Senge zurück. Sie beschreiben häufig beobachtetes Verhalten, das sich auf verschiedenste Kontexte übertragen lässt.  

Das Besondere daran: Die Beschreibungen machen Struktur und Dynamik dieser Teufelskreise sichtbar. Dadurch lässt sich nicht nur besser verstehen, wie ein wiederholtes Verhalten zustande kommt, sondern auch wie es sich über Zeit verhält und verändern lässt. 

Repression and Revolution: Das Muster, das zu Aufruhr und Umsturz führt 

Der Archetyp „Repression and Revolution” beschreibt eine Situation, in der bestehende Machtstrukturen oder restriktive Maßnahmen den Freiraum und die Motivation der Beteiligten zunehmend einschränken. Über längere Zeit führt diese Unterdrückung zu wachsendem Widerstand, der schließlich in Form von Protest oder Umbruch eskaliert.  

Dieses Muster tritt häufig in hierarchischen Strukturen oder in Organisationen mit restriktivem Führungsstil auf, in denen Mitarbeitende wenig Einfluss auf Entscheidungen haben. Er kann zudem im Verlauf größerer Veränderungen einer Organisation auftreten, wenn sich Mitarbeitende durch den Change eingeschränkt fühlen und nicht ausreichend einbezogen werden. 

Ein konkretes Beispiel für Widerstand und Rebellion

In einem Unternehmen herrscht eine ausgeprägte Top-down-Kultur. Die Mitarbeitenden werden bei Entscheidungsprozessen kaum einbezogen, und ihre Vorschläge werden oft ignoriert. Über Zeit steigt der Unmut, die Mitarbeitenden fühlen sich immer stärker fremdbestimmt. Schließlich kommt es zu einer „Revolte“: Hochqualifizierte Mitarbeitende verlassen das Unternehmen, und der Rest fordert lautstark Veränderung, was zu Unruhe und Reibungen in der Organisation führt. 

Ähnliches lässt sich auch in Organisationen beobachten, die eher flache Hierarchien haben und Mitarbeitende grundsätzlich partizipativ in Entscheidungen und die Entwicklung der Organisation einbeziehen. Im Rahmen einer größeren und langangelegten Veränderung der Organisation kommt es dennoch zum Aufstand und dem Verlust von Mitarbeitenden. Der Führungsebene ist es hier nicht gelungen, Sinn und Verlauf der Veränderung derart zu kommunizieren, dass sie von den Mitarbeitenden verstanden und geteilt werden konnten.  

Wie passiert das? 

In einem Repression and Revolution-Szenario gibt es zwei Haupt-Akteure in einem Machtgefälle: Ein Akteur besitzt die Macht, den Handlungsspielraum des zweiten Akteurs einzuschränken. Das können bspw. Unternehmensführung und Belegschaft sein. 

Der mächtigere Akteur sieht einen (aus eigener Sicht) berechtigten Grund, die Handlungen und Rahmenbedingungen des anderen Akteurs umzugestalten. Sieht dieser zweite Akteur sich dadurch in der eigenen Handlungsfreiheit eingeschränkt, formiert sich Widerstand und es werden erste Formen erkennbar, sich den neuen Bedingungen zu entziehen. 

Erhöht der mächtigere Akteur nun den Druck, um die neuen Regelungen durchzusetzen, wird einerseits ein Teil der Opposition unterdrückt und gleichzeitig der Widerstand des zweiten Akteurs verstärkt. Denn dieser sieht sich in seinen Annahmen bestärkt und seinen Widerstand zunehmend legitimiert. 

Unmoderiert verstärken nun beide Seiten den Druck aufeinander und sehen sich immer stärker in der eigenen Position bestätigt. Eine Eskalationsspirale entsteht und die Annäherung beider Akteure, um den Konflikt konstruktiv aufzulösen, wird zunehmend schwieriger. 

Dabei geht es in erster Linie um die Wahrnehmung von Macht und Einfluss. Unabhängig davon, wie stark die Handlungsfreiheit eines Akteurs tatsächlich durch den anderen Akteur eingeschränkt wird, entscheidet sich eine Eskalation anhand der „gefühlten“ Einschränkung. So können auch heftige und langanhaltende Unruhen in Organisationen entstehen, die eigentlich auf Kleinigkeiten oder Missverständnissen beruhen, weil die Veränderungen nicht ausreichend gut kommuniziert wurden.    

Wie lässt sich das Muster durchbrechen? 

Eine bestehende Eskalation aufzulösen bedeutet, dass die beiden festgefahrenen Positionen zumindest vorübergehend durchlässiger werden und der Druck reduziert wird, den beide Akteure aufeinander ausüben. 

Gerade wenn der Verdacht besteht, dass Unruhe oder Eskalation auf missverstandenen Einschränkungen von Handlungsfreiheit beruhen, sollte sich auf die Kommunikation dazu konzentriert werden. Vielleicht müssen Veränderungen (oder auch der Widerstand gegen sie) besser kommuniziert werden, damit sie vom jeweils anderen Akteur ausreichend gut verstanden werden und dieser dann die eigene veränderte Handlungsfreiheit realistisch bewerten kann. 

Diese Kommunikation sollte bei Bedarf regelmäßig stattfinden und frei von Schuldzuweisungen sein. In vielen Fällen ist dabei eine unparteiische Moderation sehr hilfreich, wenn nicht sogar unerlässlich. Ausgewachsene Konflikte können auch von einer professionellen Mediation profitieren. 

Um einen solchen Eskalationsprozess eher zu vermeiden, ist es hilfreich, offene Kommunikationsstrukturen und echte Möglichkeiten zur Mitgestaltung im Unternehmen zu schaffen. Partizipative Entscheidungsprozesse und ritualisierte Feedbackgespräche unterstützen nicht nur das Gefühl von Selbstwirksamkeit aller Beteiligten, sondern machen auch entstehende Unruhen frühzeitig sichtbar, besprechbar und damit auflösbar. 

Wenn Sie kurz darüber nachdenken: Haben Sie sich schon einmal inmitten einer Repression and Revolution-Situation befunden? Wie ist der Konflikt ausgegangen? 

Marc Riedinger

Principal
Organisationsberatung und Coaching
2024 Marc Riedinger