04. Nov. 2022
Accsonaut:innen auf der Mensch und Computer Konferenz 2022
Pragmatische Nutzerzentrierung und volle Produkt Backlogs
Am ersten Konferenztag hielt Wolfram Nagel einen Vortrag über die „Pragmatische Nutzerzentrierung mit Jobs to be Done“. Darin stelle er einen einfachen Drei-Schritte-Leitfaden für die nutzerzentrierte Priorisierung von Tickets vor.
Zunächst sollte man sich darüber im Klaren sein, welche Aufgabe das eigene Produkt dem Nutzer erleichtern soll und welche Bedürfnisse sich daraus ergeben. Wenn diese Faktoren identifiziert sind, sollten den Nutzern zwei einfache Fragen gestellt werden, die auf den Likert-Skalen beantwortet werden können: „Wie wichtig ist [Bedürfnis] für Sie?“ und „Wie zufrieden sind Sie mit [Bedürfnis]?“. Anschließend können die resultierenden Werte für die Wichtigkeit und Zufriedenheit der Bedürfnisse in einem zweidimensionalen Streudiagramm dargestellt werden. Auf diese Weise lassen sich leicht wichtige Nutzerbedürfnisse entdecken, die bisher vernachlässigt wurden. Tickets, die diesen Bedürfnissen entsprechen, sollten eine hohe Priorität erhalten.
Außerdem lassen sich somit Funktionen erkennen, die für die Benutzer:innen weniger wichtig sind und die Benutzungsoberfläche unnötig überladen. Um zu entrümpeln, können diese Funktionen können verschoben oder ganz entfernt werden. Dadurch kann diese Methode der pragmatischen Nutzerzentrierung eine ständige Orientierungshilfe bieten, um Funktionen zu priorisieren, die die Benutzer tatsächlich benötigen.
Über Konversationen mit Voicebots
Ebenfalls am Sonntag veranstalteten Laura Grimm und ihr Team von der Agentur Lautmaler den Workshop „Das natürlichste User:innen Interface der Welt – Willkommen zum Conversational Interface Design Sprint“, in dem mehrere Gruppen von Teilnehmer:innen mit hilfreichen und spannenden Anregungen durch einen Mini-Sprint geleitet wurden.
Das Team unserer teilnehmenden Accsonautin konzipierte einen Voicebot, der als Mental Health Tagebuch dienen sollte. Im Ablauf des Sprints wurden verschiedene Fragen über die Nutzung und die persönlichen Eigenschaften des Bots geklärt. Im Anschluss an einen Austausch der verschiedenen Gruppen untereinander konnte der Bot über vorher erstellte Konversation-Snippets getestet werden.
Alles im allem erwies sich der Workshop als großartige Übung um ein Gefühl für „Conversational UIs“ zu bekommen und den gelernten Input direkt anzuwenden.
Über Barcamps und Lego
Am Montag fand eine Barcamp Session statt. In spontanen, ungeplanten Vorträgen und Workshops wurde sich u.a. mit den Themen UX im Product Backlog, Dark Pattern, inklusives Design, Lego Serious Play und Design Thinking in 5 Minuten beschäftigt. Einige Camps umfassten einen Zeitraum von 30 Minuten, andere gingen über 1-2 Stunden. In beiden Fällen konnte man in kurzer Zeit viel neuen und spannenden Input erhalten.
Beim Lego Serious Play wurden zuerst die Prinzipien und Vorteile dieser Technik vorgestellt, bevor es danach direkt in die praktische Erfahrung ging. Aufgeteilt in Gruppen wurden mit kleinen Lego-Sets eine ‘perfekte Konferenz’, ‘individuelle Bedürfnisse’ und ein ‘hybrides Meeting’ gebaut und gebrainstormt. Es war erstaunlich, wie einfach und leicht es fällt, mit ein paar Legoteilchen in der Hand auf neue Ideen zu kommen und diese mit Lego abzubilden.
Mit geringer Planung im Voraus, waren die Erwartungen an die einzelnen Camps entspannt und locker, der gelernte Mehrwert aber umso größer.
Wie man Gesundheit und User Experience zusammenbringt
Am Dienstag ging es mit einem interessanten Workshop über das Thema „UX & Health – Different context, same approach“ weiter, in dem sich die Teilnehmer:innen an vier Stationen mit den Themen Prothesen, Alter, Gesundheit und Behinderung auseinandersetzen konnten. Ziel dieses Workshops war es, eine Sammlung an kreativen Ideen, Gedanken und Ansätzen zu erstellen und das Thema Gesundheit von neuen Perspektiven zu betrachten.
Das Thema „Prothesen“ lässt bspw. ein klares mentales Bild in unseren Köpfen entstehen. Menschen tragen sie, um Bedürfnisse zu befriedigen, die sie durch das Fehlen des Körperteils nicht ausführen könnten. Sowas würden wir als Grundbedürfnis eines Menschen definieren. Es gibt allerdings auch Bedürfnisse, denen wir nachgehen wollen, nicht weil wir Menschen sind, sondern weil wir Teil einer funktionierenden Gesellschaft sein wollen, z.B. die Bedienung eines Computers. Solche Bedürfnisse entstehen aus den Ansprüchen und Erwartungen der Gesellschaft und damit auch von uns selbst.
Eine Prothese ist also mehr als nur ein Ersatz für etwas Fehlendes. Sie nimmt eine gesellschaftliche Funktion ein, indem sie Bedürfnisse befriedigt, denen ein Mensch nachgehen will, um Teil der Gesellschaft zu bleiben. Bedeutet das also im Umkehrschluss, dass alle Menschen ohne Prothesen, kein voller Bestandteil unserer Gesellschaft sind? Wie können wir die Bilder und Schubladen, die im Unterbewusstsein vieler Betroffenen aber auch Außenstehenden entstehen, auflösen?
Solche und viele weitere Fragen verleiten zum Hinterfragen und Grübeln. Selbst so ein eindeutiges Thema wie „Prothesen“ wirft mehr Fragen auf als sich beantworten lassen.
Die Keynote über eine „phygitale“ Zukunft
Am Dienstag fand außerdem ein Vortrag von Katharina Aguilars mit dem Titel „Fast Forward towards a Hybrid World – Ein Blick in unsere phygitale Zukunft“ statt. Dabei sagte sie eine Zukunft vorher, in der die Verschmelzung der digitalen und physischen Welt immer weiter fortschreitet, und die Verantwortung von Designer:innen immer größer wird.
Katharina präsentierte gegen Ende ihrer Keynote ein paar Empfehlungen und Gedanken für den Heimweg:
- Die Technologie wächst viel schneller, als wir uns vorstellen können.
- In 5-10 Jahren nutzt laut dem CEO von Samsung keiner mehr Smartphones. Wir müssen uns darauf vorbereiten unser Handy zu verschrotten.
- Alles ist eine Benutzeroberfläche. Warum verwenden wir nicht das menschliche Gesicht als natürlichstes UI?
- Wichtig ist immer, dass etwas Spaß macht. Mehr Wert auf Verspieltheit.
- Die reale Welt ist das beste Metaversum. Wir wollen keinen virtuellen Feierabend!
- „Seamless is king“. Die Zukunft muss kabellos und fließend sein.
- Der Fortschritt der Technologie ist schneller als unsere Angst. Wenn wir vor dieser Zukunft Angst haben, sollten wir sie besser selbst gestalten.
Wie Personas in Remote Zeiten trotzdem ihren Platz finden
Am letzten Tag besuchte ein Accsonaut einen Vortrag von Martin Beschnitt mit dem Titel „Personal in Remote Zeiten – Was tun mit den verstaubten Kolleg:innen, wenn die Party virtuell stattfindet“. Personas beschreiben Nutzertypen, die repräsentativ für eine bestimmte Nutzergruppe stehen. Persona werden im Team präsentiert und bleiben beispielsweise durch Pappfiguren, Poster oder Aufsteller im Raum stetig präsent.
Doch was passiert, wenn das Team remote arbeiten muss? Das Büro leer, die stetige Präsenz verschwindet. Welchen Methoden können helfen die Personas auch virtuell im Blick zu behalten? Die Tipps und Tricks des Vortrags reichten von interaktiven Miro Warmups über virtuelle Teams-Hintergründe bei Videokonferenzen, in denen verschiedene Personas vorgestellt werden, bis zu Rollenspielen, um Personas wieder ins Gedächtnis zu rufen. „Persona-Paten“, Mitarbeiter:innen die sich um die Aktualisierung der Personas kümmern, können in regelmäßigen Abständen E-Mails im Namen der Persona verschicken, in denen positives oder negatives Nutzerfeedback für die Entwickler aufbereitet dargestellt wird. So bleibt die Zielgruppe im Gedächtnis.
Wie Usability-Evaluationen unterstützt werden können
Ebenfalls am Mittwoch fand ein Workshop zu dem Thema „Augment Usability Evaluation“ statt. Die Organisatoren Gerrit Meixner und Markus Dahm führten die Teilnehmergruppe durch einen interessanten Vormittag, bestehend aus drei Vorträgen und einem anschließenden Erfahrungsaustausch.
Einer der Vorträge wurde von einer unserer Accsonautin übernommen, die dort ihre Masterarbeit über die automatisierte Usability-Evaluation von UI-Prototypen vorstellte. Präsentiert wurden von zwei weiteren Teilnehmern außerdem Forschungsarbeiten und -ergebnisse über Interaktionsentwurfsmuster für XR-Anwendungen und die Möglichkeiten des Einsatzes von SMT-Solvern für die Prüfung von Benutzungsoberflächen.
Der anschließende offene und dynamische Austausch der Workshop-Teilnehmenden führte zu einer Sammlung interessanter Forschungsansätze innerhalb der drei Gebiete. Überraschend waren die unerwartet vielfältigen Überschneidungsmöglichkeiten der Themen.
Die nächste „Mensch und Computer“ findet vom 3. bis 6. September an der OST Eastern Switzerland University of Applied Sciences am Zurichsee statt.