04. Dez. 2025
Eine konkrete Anleitung für gelingende Strategie-Workshops
Kennen Sie das? Sie starten in einen Workshop oder eine Arbeitsphase zu Vision und Strategie Ihrer Organisation und stellen nach anfänglicher Euphorie ernüchtert fest:
- „Irgendwie haben wir uns im Kleinklein verrannt und so ein richtiges Bild unserer Zukunft habe ich noch nicht.“ Oder
- „Irgendwie kommt mir unsere strategische Vision schon sehr generisch vor. Was soll das denn für uns konkret heißen?“ Oder
- „Das alles wirkt auf mich schon recht traumtänzerisch. Mit der Realität hat das nur wenig zu tun.“
Alle drei Aussagen deuten auf Aspekte hin, die gelungene Zukunftsarbeit und hier konkret ein gelungener Strategie-Workshop schaffen muss: das richtige Maß an Abstraktion, ausreichende Konkretheit und eine feste Verankerung in der gegenwärtigen Realität.
Auf den ersten Blick mögen Abstraktion und Konkretheit widersprüchlich wirken, aber sie sind es nicht. Hier ist die Kunst, abstrakte Zukunftsvorstellungen möglichst konkret beschreiben zu können und sich gleichzeitig nicht von unnötigen Details ablenken zu lassen. Die Verankerung in der Gegenwart ist wichtig, denn egal welche Zukunft wir uns gerade vorstellen, wir tun das von unserem gegenwärtigen Standpunkt aus und mit unserem aktuellen Wissen. Das sollte allen Beteiligten durchgehend bewusst sein und dafür braucht es im Workshop Rückbezüge zur Gegenwart, während an Zukunftsszenarien gearbeitet wird.
Im letzten Artikel bin ich auf die Vorarbeiten für einen Workshop zu Vision und Strategie eingegangen, insbesondere auf das Festsetzen von Rahmenbedingungen wie Gestaltungsspielräume, Abhängigkeiten und Zeithorizonte. Sind diese Voraussetzungen geschaffen und allen Beteiligten bekannt, kann der Workshop stattfinden.
In unserem echten Beratungsbeispiel wurden die Rahmenbedingungen den Beteiligten mehrfach vor dem Workshop kommuniziert, zum einen in Form eines schriftlichen Dossiers und zum anderen wurden sie in mehreren Führungsrunden besprochen.
Der Strategie-Workshop – Beispiel und Anleitung
Ziel und Aufgabe des Workshops war es, eine konkrete Vision für die Organisationseinheit zu erarbeiten, zusammen mit tragfähigen Strategien, mit einem Zeithorizont von 3 Jahren. Beteiligt waren 15 Personen, der Führungskreis der Einheit.
Der Workshop ging über zwei Tage und war auch in zwei Akte aufgeteilt: Was soll unsere Zukunft sein (Vision)? Und wie kommen wir dahin (Strategie)?
Phase 1: Fokus setzen durch Gestaltungsspielraum und Begriffsklärung
Im ersten Schritt haben wir die Rahmenbedingungen in Kurzform noch einmal wiederholt. Das diente in erster Linie dazu, sie frisch ins Gedächtnis zu rufen und eventuelle Unklarheiten noch abfangen zu können. Als dauerhaften Orientierungspunkt habe ich sie auf einem Poster im Raum zusammengefasst.
Danach habe ich den Beteiligten fünf Begriffe und ihre Bedeutung vorgeschlagen und mit ihnen vereinbart:
- Purpose als Daseinszweck
- Mission als Handlungsübersetzung des Purpose
- Vision als ausgesuchtes Zukunftsbild
- Strategie als Richtung/Richtungsentscheidung für den Weg zur Vision
- Maßnahme als konkretes und planbares Arbeitspaket, das auf eine Strategie einzahlt
Dabei ging es mir nicht um eine Allgemeingültigkeit der Begriffe, sondern darum, Klarheit darüber zu verschaffen, worüber wir gerade sprechen oder woran wir gerade arbeiten. Meiner Erfahrung nach unterscheiden sich Vorstellungen von bspw. Vision und Strategie und beim tatsächlichen Arbeiten daran geraten diese schnell durcheinander. Wie ich im letzten Artikel beschrieben habe, kann Zukunftsarbeit kognitiv herausfordernd sein. Daher ist jede Klarheit und jede Vereinfachung hilfreich, die im Vorfeld geschaffen werden kann.
Nicht zuletzt konnten wir uns damit den Scope des Workshops noch einmal sehr bewusst machen: Wir arbeiten an Vision und Strategie, nicht an Purpose oder Maßnahmen.
Auch diese Begriffe waren als Poster und Orientierungspunkt im Raum aufgehängt.
Dann ging es an die eigentliche Arbeit: Die gemeinsame Beschreibung einer möglichen und wünschenswerten Vision, im Rahmen der gesetzten Gestaltungsspielräume. Um ausreichend Reflexion, Perspektivenvielfalt und Konkretheit zu erreichen, habe ich diese Phase in mehrere Runden mit unterschiedlichen Methoden aufgeteilt. Durch Abwechslung wollte ich zudem den Vorstellungsgeist der Beteiligten wachhalten und durch die Einfachheit der eingesetzten Techniken entlasten.
Phase 2: Die eigene und die andere Zukunft
Zunächst habe ich die Beteiligten gebeten, sich etwa eine halbe Stunde Zeit zu nehmen, um aus ihrer Perspektive die Situation der Organisationseinheit in 3 Jahren zu beschreiben. Als Strukturhilfe bekamen sie 3 Fragen, die sie hinterher beantworten können sollten:
- Wie sieht diese Zukunft für mich persönlich aus (z.B. mein Alltag und Arbeitsplatz)?
- Wie sieht diese Zukunft für mein Team aus?
- Wie sieht diese Zukunft für die Organisationseinheit aus?
Ich schlug vor, sich dafür einen angenehmen Platz zu suchen, ob in diesem, einem anderen Raum oder draußen. Und ich bat um Fehlerfreundlichkeit: Es ging weniger um Vollständigkeit und Detailtiefe, sondern darum, sich in breit gefasster Form mit dem Zukunftsdenken vertraut zu machen und die ersten Gedanken zu Papier und damit aus dem Kopf zu bringen.
Danach habe ich die Teilnehmenden zu zweit oder zu dritt zusammengesetzt und sie gebeten, sich frei auszutauschen: über ihre Zukunftsbeschreibungen und die Gedanken, die beim Schreiben in ihnen auftauchten. Ziel war dabei nicht, die Beschreibungen zusammenzuführen oder gegenseitig auszuhandeln. Es ging mir vielmehr darum, das Zukunftsdenken der Beteiligten, ihre persönlichen Anliegen dabei und einen Dialog darüber zu fördern.
Anschließend trafen sich alle Teilnehmenden wieder zusammen zu einer kleinen Reflexion. Ich bat sie nacheinander jeweils eine Erkenntnis über den Prozess zu teilen. Zum Beispiel: Was ist schwergefallen und was leicht? Was war überraschend oder erwartbar?
Phase 3: Die gemeinsamen Zukünfte
Im nächsten Schritt wurden die Zweiergruppen zu drei größeren Gruppen zusammengeführt. Jetzt sollten sie ihre Zukunftsvorstellungen teilen und in Form einer gemeinsamen Vision ausformulieren. Für das finale Ergebnis jeder Gruppe gab ich folgende Anforderungen mit:
- Die Vision muss ausformuliert sein (Fließtext).
- Jeder Satz beginnt mit „Wir sind…“, „Wir machen…“, „Wir haben…“ oder vergleichbarem.
Damit war sichergestellt, dass sich die Gruppen auf präzise Vorstellungen einigen, sie immer das Ganze, das Wir, im Blick behalten und dass die drei entstehenden Visionsentwürfe der Gruppen eine vergleichbare Form bekamen und so später im Plenum leichter zu einer einzigen Vision zusammengeführt werden konnten.
Phase 4: Vertiefen und Validieren der Zukünfte
Nachdem die Gruppen ihre Zukunftsbilder formuliert hatten, bat ich sie sich folgende Frage zu stellen: „Wenn das wirklich so sein wird, was konkret folgt für euch daraus?“
Die Gruppen bekamen jeweils große Whiteboards mit einem Punkt in der Mitte, der für ihre Vision stand. In Bezug auf die Fragestellungen sollten sie konkrete und direkte Folgen ihres Zukunftsbilds sammeln und ringförmig um den Punkt anordnen. Bewerten sollten sie die Folgen nicht, nur sammeln.
Im nächsten Schritt bat ich die Gruppen, sich die direkten Konsequenzen ihrer Zukunftsvorstellungen anzusehen und sich für jede Folge die Frage zu stellen: „Wenn das eintritt, was konkret folgt für uns daraus?“. Die Antworten auf diese Frage sollten auch dieses Mal nur gesammelt, nicht bewertet und ringförmig um den ersten Ring angeordnet werden.
Danach bat ich die Gruppen, sich alle Konsequenzen auf dem Whiteboard anzuschauen und zu markieren, welche sie für besonders relevant hielten und ob sie sie als positiv oder negativ bewerten würden.
Zuletzt sollten die Gruppen einen Schritt zurücktreten und das ganze Bild gemeinsam reflektieren. Wie bewerten sie nun ihre zuvor formulierte Vision? Sehen sie neue Chancen, zuvor unerkannte Risiken oder Lücken?
Mit diesen Erkenntnissen konnten die Gruppen ihre jeweiligen Zukunftsbeschreibungen noch einmal überarbeiten. Dann kamen alle Beteiligten wieder zusammen.
Phase 5: Die ausformulierte gemeinsame Vision
Im Workshopraum standen nun drei Flipcharts mit den unterschiedlichen Zukunftsbeschreibungen der Gruppen. Nachdem jede Gruppe ihre Vision vorgestellt hatte, ging es an die Synthese.
Dieses Zusammenführen zu einer gemeinsamen Vision verlief praktisch als eine Diskussion der Beteiligten, Satz für Satz, während ich auf einem Whiteboard die neuen Formulierungen für alle sichtbar aufschrieb und je nach Diskussionsstand korrigierte. Dabei gab ich auch hier vor, dass jeder Satz mit „Wir sind…“, „Wir machen…“ oder vergleichbar beginnen musste.
In dieser Diskussion nun entstand die Konkretheit der Vision, erkennbar durch ein Ringen um Formulierungen und die Präzision einzelner Begriffe. Durch die vorangegangenen Runden waren die Beteiligten in ihrem Zukunftsdenken bereits tief involviert, sodass sie problemlos Details diskutieren konnten, ohne den abstrakten Aspekt der Vision gedanklich zu verlassen.
Im Ergebnis bekamen wir eine ausformulierte Vision, die alle relevanten Aspekte abdeckte und die die gesetzten Rahmenbedingungen berücksichtigte. Über eine kurze Feedback-Abfrage bestätigte sich: Alle Beteiligten hatten zu diesem Zeitpunkt eine klare gemeinsame Vorstellung davon, wie ihre Zukunft aussehen soll. Und alle waren überrascht, dass es ihnen nun leicht viel, sich in dieser Zukunft vorzustellen, ganz anders als zu Beginn des Workshops.
Phase 6: Unterschiedsbildung
Nun holte ich die Teilnehmenden gedanklich bewusst in die Gegenwart und stellte die Frage: „Wenn ihr jetzt auf diese Vision schaut und sie mit eurer aktuellen Situation vergleicht, wie groß ist aus eurer Sicht der Unterschied?“.
Per Handzeichen ließ ich abstimmen, ob der Unterschied zwischen Status Quo und Vision als sehr klein, klein, mittel, groß oder sehr groß empfunden wurde. Dann diskutierten wir die am stärksten abweichenden Einschätzungen.
Dieser Schritt war aus den folgenden Gründen wichtig:
- Aus den Unterschieden der Einschätzungen konnten noch kleinere Unterschiede im Verständnis der Vision besprochen und geklärt werden.
- Die Vision wurde in der gegenwärtigen Realität verankert, indem sie als Unterschied zum Ist-Stand verstanden wurde und nicht als losgelöste Zukunftsvorstellung.
- Dieser Unterschied war (und ist generell) eine relevante Grundlage für die Strategiebildung.
Damit war eine natürliche Überleitung zum Strategie-Teil geschaffen. Wenn wir ein Gefühl für die Zukunft haben und wie stark sie sich von der gegenwärtigen Situation unterscheidet, liegt die Frage auf der Hand: Wie überbrücken wir diesen Unterschied und kommen zu der Zukunft, die wir uns ausgesucht haben?
Phase 7: Richtungsentscheidungen und Strategie-Entwürfe
Der zweite Akt des Workshops war ähnlich strukturiert wie der erste, weshalb ich mich hier kürzer fassen kann.
Im ersten Schritt sollten die Beteiligten für sich die Richtungsentscheidungen aufschreiben, die sie als notwendig erachteten. Die Frage war: Welche grundlegenden Entscheidungen sollten wir jetzt treffen, um uns in Richtung unserer Vision zu bewegen?
Danach gingen die Teilnehmenden in einen offenen Austausch zu zweit oder zu dritt. Sie bekamen außerdem die Aufgabe, die Ergebnisse ihres Dialogs als erste Strategie-Entwürfe aufzuschreiben. Auch hier gab ich den Beteiligten eine Formulierungsform vor: Es sollten wieder ausformulierte Sätze sein, die dieses Mal mit „Wir setzen auf…“ oder „Dafür setzen wir auf…“ beginnen sollten. Mit diesen Satzanfängen wurde eine direkte Verbindung zu den Sätzen der Vision hergestellt.
Anschließend besuchten sich die Kleingruppen gegenseitig, um gegenseitig Feedback zu ihren Entwürfen einzuholen. Danach wurden die Kleingruppen zu drei größeren Gruppen zusammengeführt, um jeweils eine Sammlung von Strategiesätzen zu erarbeiten.
Phase 8: Das gemeinsame Strategiepapier
Wie bei der Erarbeitung der gemeinsamen Vision wurden auch hier die drei erarbeiteten Strategiesammlungen vorgestellt und dann gemeinsam zu einem Strategiepapier zusammengeführt. Die Vorgehensweise war dabei identisch.
Letztlich habe ich mit den Beteiligten erneut den wahrgenommenen Unterschied zwischen Ist-Situation und Vision kurz abgestimmt und diskutiert. Das half dabei, Vision und Strategie zusätzlich in der Gegenwart zu verankern.
Nach zwei Tagen konzentrierter Arbeit war aus zunächst schwammigen Zukunftsideen, manchen Hoffnungen und Bedenken, eine klare Formulierung der gemeinsamen Vision und Strategie entstanden. Gleichzeitig haben die Beteiligten etwas über ihr Zukunftsdenken gelernt, dass Konkretheit möglich ist, selbst bei ungewissen Zukünften und wie sie diese Fähigkeit zukünftig selbst nutzen können.
Zum Schluss
Dieser Artikel ist nun ziemlich lang geworden, aber aus guten Gründen. Mir ist dabei wichtig, verständlich zu machen, dass:
- Zukunftsarbeit in erster Linie tatsächlich Arbeit ist, die kognitiv stark herausfordernd sein kann.
- Zukunftsarbeit deshalb von klarer methodischer Führung profitiert.
- man mithilfe entsprechender Methodik auch in kurzer, aber konzentrierter Zeit, valide Visions- und Strategieergebnisse schaffen kann.
Nicht zuletzt kann Ihnen die ausführliche Beschreibung des Workshop-Ablaufs vielleicht dabei helfen, Ihre eigenen Strategie-Workshops aufzusetzen. Mehr zu Workshop-Gestaltung und -Moderation finden Sie außerdem in meinem Buch „Workshop Mechanics“.
Im nächsten Artikel geht es darum, warum Sie besser nicht direkt in die Umsetzung Ihrer Strategie starten sollten und was ich stattdessen empfehlen würde.
Hat Ihnen diese Anleitung weitergeholfen? Ich freue mich über jeden Kommentar und jedes Teilen des Artikels.