06. März 2025
Präsenz: Fundament effektiver Beratung und Moderation

Im Berufsleben konzentrieren wir uns oft stärker auf Handeln als auf Reflexion. Fristen, To-Do-Listen und volle Terminkalender drängen uns zum ständigen Tun, und das gilt – ich spreche aus Erfahrung – besonders auch für uns Menschen aus der Beratung und der Moderation. Die Erwartungen sind hoch, durch dieses Tun, nachhaltige Veränderungen bei unseren Kunden zu erreichen.
Doch was, wenn wir diese Veränderungen mindestens ebenso durch unser “Sein”, durch unsere Präsenz, erreichen können, statt nur (ich übertreibe ein wenig) durch Aktionismus?
Beratung in unserem Kontext bedeutet, für unsere Kunden eine Problemlösung zu schaffen. Moderation, im Gegensatz dazu, schafft für unsere Kunden einen Rahmen, um das Problem selbst zu lösen. Auch Coaching arbeitet auf diese Weise. Im Kern all dieser Tätigkeiten liegt das Vertrauen, das uns entgegengebracht wird. Dieses gilt es aufzubauen und zu pflegen, damit die Zusammenarbeit gut gelingt.
Dieses Vertrauen wird einerseits beeinflusst durch nachweisbare Expertise im Beratungsfeld, wie Ausbildung oder Berufserfahrung, und andererseits durch das Auftreten und Verhalten der beratenden Person, so wie sie von der Kundenseite wahrgenommen werden. Kurz: ihre Präsenz.
Präsenz wird so zum mächtigen Gestaltungsmittel der Beratung oder der Moderation. Für Edwin Nevis, amerikanischer Organisationsberater und Gestalttherapeut, war Präsenz sogar die wichtigste Beratungskompetenz. Dazu gehörten für ihn beide Bedeutungen des Begriffs:
- Präsenz im Sinne der Erscheinung, des Auftretens und Verhaltens sowie
- präsent sein, also die volle Aufmerksamkeit der Beratungssituation widmen.
Wenn Präsenz eine Kompetenz ist, müsste man sie auch lernen können. Aber wie?
Präsenz entwickeln – Zusammenarbeit fördern
Anders als man vielleicht vermuten mag, geht es bei der Entwicklung von Präsenz nicht darum, einen schickeren Anzug zu tragen oder die Stimme zu trainieren, um vertrauensvoller zu wirken oder seriöser auftreten zu können. Damit würde Präsenz eher vorgetäuscht - zumindest dem Präsenzkonzept von Nevis nach. Für ihn speist sich Präsenz aus Authentizität, Empathie und aufrichtigem Interesse am Kunden und der Zusammenarbeit.
Er beschrieb folgende fünf Aspekte von Präsenz als essenziell in der Beratung (und daraus abgeleitet auch der Moderation), aus denen sich ableiten lässt, wie Sie Präsenz entwickeln können:
- Aufrichtige Bindung: Für Nevis ging es nicht darum, eine Show zu veranstalten, sondern authentische Bindungen aufzubauen. Beratende müssen im Moment wirklich präsent sein, aktiv zuhören und sich auf einer emotionalen und intellektuellen Ebene auf die Kunden einlassen können.
- Vertrauen aufbauen: Eine authentische Präsenz fördert Vertrauen und damit die Zusammenarbeit. Kunden sind eher bereit, sich zu öffnen und ihre Anliegen mit Beratenden zu teilen, die echtes Interesse und Empathie zeigen. So profitieren gleichzeitig Zusammenarbeit und Projektfortschritt.
- Effektive Kommunikation: Präsenz verbessert die Kommunikation. Sind Beratende wirklich präsent, im Sinne voller Aufmerksamkeit, können sie die Feinheiten verbaler und nonverbaler Botschaften besser deuten und damit die Bedürfnisse von Kunden präziser verstehen.
- Kollaborative Partnerschaften: Präsenz fördert Zusammenarbeit und die Nachhaltigkeit von Lösungen. Zeigen Beratende Respekt für das Fachwissen des Kunden und ermutigen zur gemeinsamen Arbeit am Problemlösungsprozess, entsteht nicht nur eine starke Partnerschaft in der Zusammenarbeit, sondern es steigt auch die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Umsetzung der Lösungsidee.
- Selbst-Aufmerksamkeit: Nevis erkannte, dass Selbsterkenntnis entscheidend für die Kultivierung von Präsenz ist. Beratende sollten sich ihrer eigenen Vorlieben, Vorurteile, Emotionen und Kommunikationsstile bewusst sein. Dadurch können sie ihren Einfluss auf die Kundenbeziehung besser verstehen und ihren Beratungsansatz entsprechend anpassen.
Was lässt sich daraus nun konkret ableiten, um bessere Beraterinnen oder Moderatoren zu werden?
Mein persönliches Learning zu Präsenz
Folgt man dem Konzept von Edwin Nevis, muss man sich zunächst (und anhaltend) mit sich selbst auseinandersetzen, um gut beraten oder moderieren zu können. Um authentisch aufzutreten braucht es Selbstvertrauen, das möglicherweise erst aufgebaut werden will. Die eigenen Perspektiven und Biases wollen erforscht werden, um Kunde und Projekt nicht unabsichtlich negativ zu beeinflussen. Und möglicherweise braucht es auch Übung in der eigenen Art der Kommunikation, inklusive des aktiven Zuhörens.
All das deckt sich mit meinen eigenen Erfahrungen als Berater, Moderator und Coach. Nevis zu lesen hat mir nicht nur Neues vermittelt, sondern auch Erklärungen für Erfahrungen geliefert, die ich zuvor nicht eindeutig zuordnen konnte. Ohne dieses Konzept als Basis möchte ich jedenfalls nicht mehr beraten, moderieren oder coachen.
Und besonders spannend dabei finde ich, dass nichts davon etwas direkt mit Fachwissen oder Methodik zu tun hat. Und das mir als Methoden-Fan 😉!
Noch mehr: Was wäre wohl, wenn wir alle (unabhängig unseres Berufs) unsere Präsenz entwickeln würden? Mir scheint, darin liegt ein echter Schlüssel zu gutem Miteinander, das auch unsere authentischen Ichs respektieren kann. Und das klingt mir nach etwas, das wir in unserer vielfach aufgeheizten gesellschaftlichen Situation gut gebrauchen könnten.
Wie sehen Sie das?