30. Okt. 2025
Wie lernende Organisationen die Zukunft der Arbeit gestalten können
Kommt Ihnen das oder vergleichbares bekannt vor? Ein Führungsteam diskutiert ergebnislos über Strategien, ohne zu realisieren, dass alle von ganz unterschiedlichen Grundannahmen ausgehen. Ein Vertriebsleiter denkt in Quartalszielen, die Produktentwicklerin in Innovationszyklen, der CFO in Risikominimierung. Alle sind überzeugt, die jeweils "richtige" Perspektive zu haben.
Peter Senge, MIT-Professor und Kopf hinter dem Konzept der „Lernenden Organisation“, erkannte bereits in den 1990er Jahren, dass nachhaltige Organisationsentwicklung nicht bei Strukturen oder Prozessen beginnt, sondern bei der Art, wie wir denken und lernen. Seinen Lösungsansatz formulierte er in Form von fünf Disziplinen, die es zu entwickeln gilt. Zusammen sind sie so etwas wie ein Betriebssystem für kollektive Intelligenz – ein Weg, mentale Modelle sichtbar zu machen, zu hinterfragen und kontinuierlich zu verbessern.
5 Disziplinen einer lernenden Organisation
Mit lernender Organisation ist eine Organisation gemeint, die in der Lage ist, sich selbst zu reflektieren und bewusst zu entwickeln – basierend auf den Erfahrungen, die sie gemacht hat. Damit bezieht sich das Lernen immer sowohl auf die einzelnen Beteiligten wie auch auf Organisationseinheiten und die Organisation als Ganzes.
Damit das gelingt, hat Senge fünf Disziplinen benannt – Arbeitsfelder, die entwickelt werden müssen, um zur lernenden Organisation zu werden.
- Systemdenken: Organisationen sind keine Maschinen, sondern lebendige Systeme. Systemdenken hilft, Zusammenhänge zu erkennen, Wechselwirkungen zu verstehen und die „unsichtbaren Fäden“ zu sehen, die Verhalten und Ergebnisse prägen.
- Persönliche Entwicklung: Individuelles Wachstum ist die Basis für kollektiven Erfolg. Wer seine eigenen Ziele kennt, Verantwortung übernimmt und offen für Neues bleibt, kann zum Motor für Veränderung werden.
- Mentale Modelle: Unsere Annahmen beeinflussen unser Handeln. Nur wer bereit ist, diese zu hinterfragen und zu aktualisieren, kann sich und sein Umfeld weiterentwickeln.
- Gemeinsame Vision: Eine Vision, die von allen getragen wird, schafft Energie und Ausrichtung. Sie ist das verbindende Element, das Sinn stiftet und Innovation fördert.
- Teamlernen: Teams sind die eigentlichen Lernmotoren. Durch Dialog, Reflexion und gemeinsames Experimentieren entstehen Lösungen, die Einzelne nie erreichen würden.
Aus meiner Sicht geht es dabei in erster Linie um zwei Dinge: eine umfassende Bewusstwerdung von Grundannahmen (mentale Modelle) und um die Vernetzung von Lernentwicklungen der Beteiligten, sodass sie einem gemeinsamen Entwicklungsziel dienen können. Speziell dafür braucht es ein systemisches Verständnis, um das Gesamtbild sehen und gestalten zu können, ohne sich im Klein-Klein zu verlieren.
Vorteile einer lernenden Organisation
Ein Vorteil liegt klar auf der Hand, aus meiner Sicht: ein klarer, gemeinsamer Blick auf die Dinge hilft, bessere Entscheidungen zu treffen und das schneller zu erreichen. Eine solche Beschleunigung kann schon dadurch erreicht werden, dass sich die Beteiligten ihrer verschiedenen Grundannahmen bewusst sind und sie direkt adressieren können. Das Gegenteil davon habe ich im Anfangsbeispiel beschrieben.
Ein weiterer Vorteil ist die Fähigkeit zur Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen. Ist Lernen Teil des grundlegenden Selbstverständnisses und der Unternehmenskultur, sinkt die Anfangshürde beim Lernen neuer Kompetenzen oder bei der Änderungen von Arbeitsabläufen, wie es bspw. bei Transformationen der Fall ist. Change-Projekte können solchen Organisationen deutlich leichter fallen als anderen.
Drittens spricht eine Lernkultur auch für eine gesunde Fehlerkultur: Wir begreifen uns in stetiger Entwicklung, machen Fehler auf dem Weg und können diese Erfahrungen gemeinsam reflektieren, um es beim nächsten Mal besser zu machen. Das kann auch den Raum für Innovation öffnen und psychologische Sicherheit fördern.
Letztlich fördert ein starkes Bewusstsein innerster Annahmen auch das Gespür für Ziele und Visionen: Wenn ich deutlich benennen kann, was mir und uns wichtig ist, fällt es leichter, sich für eine gewünschte Zukunft und den Weg dahin zu entscheiden.
Für Peter Senge entspricht die lernende Organisation außerdem unserer menschlichen Natur, weil sie auf einer grundlegenden Kompetenz aufbaut. Sein Argument: Im Grunde sind wir alle Lernende und schon als Kleinkinder lernen wir sprechen und laufen, ohne dass uns jemand beibringen muss, wie man lernt.
Wo wir gerade bei Menschen und Lernen sind: Was ist eigentlich, wenn menschliches auf maschinelles Lernen trifft?
KI als Katalysator für organisationales Lernen
Hier kann es besonders spannend werden: Künstliche Intelligenz verändert nicht nur, was wir tun, sondern auch wie wir lernen. Während KI-Systeme Daten analysieren und Muster erkennen, könnten lernende Organisationen diese Erkenntnisse nutzen, um ihre mentalen Modelle kontinuierlich zu aktualisieren.
Wahrscheinlich sind es sogar lernende Organisationen, die am ehesten in einer sogenannten hybriden Arbeitswelt ankommen: der echten Kooperation von Menschen und KI-Agenten.
Vom heutigen Standpunkt aus scheint vieles dazu im Unternehmensalltag noch wie Zukunftsmusik. Aber vielleicht helfen ein paar einfache Ideen, ein solches hybrides, lernendes Organisationsmodell und seine Potenziale zu begreifen:
- Entsprechend trainiert, könnte KI im Dialog mit Menschen blinde Flecken in deren Denkmustern identifizieren und als Feedback zurückgeben
- Algorithmen könnten systemische Zusammenhänge aufdecken, die Menschen bislang übersehen haben
- Automatisierte Prozesse können Raum für strategisches Denken und Kreativität schaffen
- KI und Menschen könnten gemeinsam darüber nachdenken, wie sie sich über Lernen am besten weiterentwickeln, im Sinne der Organisation
- Vernetzte KI-Agenten könnten dabei helfen, Lernerfahrungen und Wissen effizienter und effektiver in der Organisation zu verteilen
Technisch ist es bereits möglich und einiges davon auch mit den bekannten Tools ad hoc umzusetzen. Aber natürlich führt die Technologie nicht allein zur lernenden Organisation. Es braucht Menschen, die bereit sind, ihre Annahmen zu hinterfragen. Und es braucht eine Kultur, die genau das fördert und Fehler erlaubt.
Ist die lernende Organisation also der Königsweg?
Aus meiner persönlichen Sicht ist die lernende Organisation ein sehr erstrebenswertes Modell. Sie ist am Wohl der ganzen Organisation orientiert, lässt aber ausreichend Raum für die Entwicklung der einzelnen Mitarbeitenden. Sie ist zutiefst menschenorientiert und baut mit dem Fokus auf Lernen auf eine unserer Grundkompetenzen, die wir uns nicht erst erarbeiten müssen.
Durch die Vielzahl an Feedback-Schleifen und der Bewusstwerdung unserer mentalen Modelle ist eine transparente, zielorientierte und wenig machtorientierte Steuerung möglich. Durch Lernen ist sie anpassungs- und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zukunftsfähig. Ich traue diesem Modell jedenfalls, im Vergleich zu den anderen mir bekannten, am ehesten zu, mit den turbulenten Entwicklungen unserer Zeit konstruktiv umzugehen.
Allerdings glaube ich auch, dass der Weg dorthin für viele Organisationen schwierig sein dürfte. Unsere gesellschaftlich geprägten Vorstellungen davon, wie Arbeit aussieht und sich organisiert – unsere mentalen Modelle dazu – sehen oft deutlich anders aus. Berechenbar zu funktionieren, sich mit hierarchischen Titeln zu schmücken oder maximal effizient und besser als andere sein zu wollen, sind bei vielen Menschen tief verankerte Vorstellungen, die sich mit einer lernenden Organisation nicht unbedingt gut vertragen.
So viel zu meiner Sicht darauf. Was meinen Sie dazu?